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vom 17.5.2021
 
Vertrauen und Chancengleichheit schaffen
In Walzfeld gibt es seit rund einem Jahr eine Außenwohngruppe des Leiberstunger Kinderheims „Alter Pflug“
 
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In diesem schönen Haus befindet sich im idyllisch gelegenen Walzfeld die Außenwohngruppe des Kinderheims. Fotos: Ernst
 
Von BT-Redakteurin Nina Ernst
Ottersweier/Sinzheim – Schließzeiten? Nein, die gibt es nicht im Kinderheim „Alter Pflug“ in Leiberstung und auch nicht in der Außenwohngruppe in Walzfeld, das zu Ottersweier gehört. Natürlich gibt es die nicht – in einer Familie wird schließlich auch nicht irgendwann einfach zu gemacht. Und genau das ist es, was den Kindern und Jugendlichen in den Häusern geboten wird: Familie.
 
In Leiberstung im ehemaligen Gasthaus Pflug schon seit 2015, im idyllisch gelegenen Walzfeld erst seit Juni des vergangenen Jahres. Ein großes Fest zur Eröffnung sei leider coronabedingt noch nicht möglich gewesen, bedauert Leiterin und Gründerin des Kinderheims Nadine Weiler. Doch auch ohne Willkommensfest erlebe man von der Walzfelder Bevölkerung eine große Anerkennung, so wie man es schon von Leiberstung kenne, zeigt sich Ralf Weiler, Nadine Weilers Ehemann, quasi Mädchen für alles in den beiden Häusern, gerührt. Und Dennis Böhm, stellvertretender Leiter, fügt an, dass es schön sei, dass immer wieder so viele Menschen und auch örtliche Vereine bei unterschiedlichen Aktionen an die Einrichtung denken.
 
Nicht nur das Eröffnungsfest ist durch Corona vereitelt worden, sondern auch teilweise der Gang zum Kindergarten oder zur Schule. Und so ist auch beim BT-Besuch in der vergangenen Woche quasi volles Haus am Vormittag. Laut Nadine Weiler sind die Heimkinder nämlich nicht für die Notbetreuung berechtigt. Aber es lässt sich für die sieben vier- bis zwölfjährigen Kinder auch sehr gut in dem großen Haus am Ortsrand aushalten, das wird schnell klar: Da geht ein Mädchen mit Freundin und Hund im Grünen spazieren, die beiden Kindergartenkinder spielen mit einer Betreuerin, die Jungs büffeln am Schreibtisch im Homeschooling, und zwischendurch gibt es auch mal eine Umarmung von den Erwachsenen.
 
Pädagogen, Erzieher, Azubis, duale Studenten, Hauswirtschafterinnen und unter anderem Heil-, Sozial- und Traumapädagogen begleiten die insgesamt 23 Mädels und Jungs in den beiden Häusern auf ihrem Weg. Und alle Betreuten „haben ihr Päckchen zu tragen“, macht Nadine Weiler klar. Ein starkes, gutes Team, das sich individuell auf die Kinder einlässt und flexibel agiert, sei für die Arbeit im „Alten Pflug“ daher unerlässlich – so richtet Dennis Böhm seinen großen Dank an alle Mitarbeiter.
 
Unterschiedliche Gründe, wie etwa psychische Probleme der Eltern, führten dazu, dass die Kinder dann in der eigenen Familie nicht mehr gut aufgehoben sind, erläutert die Chefin. Auch gebe es in krassen Fällen immer wieder spontane und kurzzeitige Inobhutnahmen. „Dass das nicht spurlos an einem Kind vorbeigeht, ist, glaube ich, selbstverständlich“, fügt Dennis Böhm im Bezug darauf an, wenn man aus dem gewohnten Umfeld gerissen wird – egal ob freiwillig oder unfreiwillig. Und es sei immer wieder erschreckend und traurig, dass eigentlich keiner vor solchen Schicksalen gefeit sei. Umso wichtiger sei es also, schnell zu den betreuten Kindern eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen, ihnen zu zeigen, dass jemand voll hinter ihnen steht, um dann die großen Ziele der Jugendhilfe zu erreichen, wie Dennis Böhm beschreibt: den Weg zum selbstständigen Leben ebnen und Chancengleichheit in Sachen Bildungsweg schaffen.
 
Positive Effekte herausziehen
 
Und der Bedarf an dieser Hilfe ist da: Das sieht man auch daran, wie schnell das Haus in Walzfeld voll war. „Es war nicht geplant, zu erweitern“, schmunzelt Nadine Weiler. Ihr Ehemann führt aus, dass man per Zufall Ende 2019 auf die Immobilie gestoßen sei, im April 2020 habe man sie übernehmen können, und schon im Juli seien dann alle Plätze belegt gewesen. Wenn sich die Konstellationen im Kinderheim änderten, dann würden unter anderem auch die Doppelzimmer helfen, schnell Fuß zu fassen.
 
Relativ spurlos sei Corona bisher am „Alten Pflug“ vorbeigegangen, beschreibt Nadine Weiler die Situation: Es habe keinen Corona-Fall in der Einrichtung gegeben, nur vereinzelt seien Kinder wegen eines Erstkontakts in kurzer Quarantäne gewesen, eines auch länger, Vormittagsbetreuung sei nötig für die unterschiedlichsten Altersklassen (4 bis 19 Jahre) und die regelmäßigen Heimfahrten zu den Familien seien kurzzeitig ausgesetzt worden. Sogar die beliebten Ferien im Sommer konnten stattfinden: Betreuer und alle Kinder fuhren gemeinsam auf die Insel Fehmarn. „Das ist immer sehr besonders“, schwärmt Böhm, man lerne andere Facetten der Kinder und Jugendlichen kennen, und jeder profitiere sehr lange davon. Denn natürlich gingen einem die Schicksale der Kids zu Herzen, viele Fälle nähmen die Verantwortlichen stark mit. Und: „Man stumpft nicht ab“, sagt Böhm, der seit den Anfängen des Kinderheims mit an Bord ist. Eine gute „Psychohygiene“ und positive Effekte aus den belastenden Situationen herauszuziehen, sei darum ganz wichtig.
 
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Leiterin Nadine Weiler und und ihr Stellvertreter Dennis Böhm engagieren sich mit Herzblut für die Kinder und Jugendlichen. Hier sind sie im Aufenthaltsraum im unteren Stock.