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vom 2.7.2004
 
"Diesen Jubel kann man gar nicht beschreiben"
Paul Frietsch erinnert sich an das Gemeinschaftserlebnis WM-Finale in einer proppenvollen Leiberstunger Gaststätte
 

abb020704DER SV LEIBERSTUNG IM JAHRE 1951: Auf Linksaußen stürmte damals der spätere Ortsvorsteher Paul Frietsch (hinten rechts). Foto: pr

 
Sinzheim wl. "Erst war es ganz still; niemand schien zu glauben, was er gerade gesehen hatte. Dann brach ein Jubel los, den man gar nicht beschreiben kann." Paul Frietsch spricht von der 84. Minute des Endspiels von Bern, in der Helmut Rahn das 3:2 erzielte. Der ehemalige Leiberstunger Ortsvorsteher verfolgte das Spiel mit vielen anderen Zuschauern vor dem Fernseher im "Rössel", damals eine von zwei Gaststätten in seinem Heimatort. "Da waren über 100 Leute drin, viele mussten das Spiel im Stehen verfolgen." Aus der ganzen Umgebung seien die Fußball-Fans nach Leiberstung gekommen, weil in beiden Wirtshäusern ein Fernsehgerät stand. "Ich glaube nicht, dass es schon einen Fernseher in einem Privathaushalt gab in Leiberstung", erinnert sich Frietsch, der damals 25 Jahre alt war. "Bis weit in die 60er Jahre sind am Samstagabend die Männer aus Schiftung nach Leiberstung gekommen, um sich in der Gaststätte die Sportsendungen anzusehen."

Frietsch selbst war damals Fußballer mit Leib und Seele. "Fußball war meine schönste Zeit, ich habe fürs Leben gern Fußball gespielt", schwärmt er. Beim SV Leiberstung jagte er als Linksaußen dem Ball hinterher. Wie in Fußballerkreisen so gespottet wird: Den rechten Fuß hatte Frietsch zunächst nur, um nicht umzufallen. "Ich musste lange trainieren, bis ich mit rechts überhaupt schießen konnte", schmunzelt er. "Da war ich schon über 20. Vor Lokalkämpfen trainierte Frietsch besonders intensiv, wenn es etwa gegen Schwarzach ging - drei Waldläufe in der Woche verordnete sich der Sportler da.

Linksaußen - in der deutschen Nationalmannschaft war das 1954 der Part von Hans Schäfer aus Köln. Frietschs Vorbilder aber kamen aus Kaiserslautern, vorneweg Fritz Walter: "Ohne ihn hätten wir das Endspiel nie und nimmer gewonnen. Die Zeitungen schrieben vor der WM, er sei zu alt, aber er hat dann gezeigt. was er kann. Die "Roten Teufel" vom Betzenberg sah Frietsch 1948 schon live. Es war der Tag der Währungsumstellung, und die ersten paar Mark investierte Frietsch, um mit der Bahn nach Rastatt zu kommen, wo der FCK an diesem Tag spielte.

Die Erwartungen, die Frietsch 1954 an die deutsche Elf knüpfte, waren nicht übertrieben hoch. "Unter die letzten Acht vielleicht, damit hat man gerechnet", sagt er; als die Elf von Sepp Herberger dann immer weiter kam, hoffte man auch auf mehr: "Aber so vermessen, an den Turniersieg zu denken, waren wir nicht."

Das Endspiel-Publikum im Leiberstunger "Rössel" war schon vor dem Anpfiff euphorisch, "gerade die, die Krieg und Nachkriegsjahre mitgemacht hatten". Fußball sei für diese Generation wichtig gewesen, einem manchen half der Sport über die Zeit der Kriegsgefangenschaft. "Wir haben als junge Kerle auch gegen die französischen Kriegsgefangenen gespielt, die im Lager bei Leiberstung waren. Das war zwar verboten, aber wir haben es doch gemacht", erinnert sich Frietsch. Viele Ältere seien mit vor dem Fernseher gesessen, die mit dem Fußball eigentlich gar nichts am Hut gehabt hätten. Doch dieses Spiel erzeugte ein Wir-Gefühl, was Paul Frietsch sehr imponierte. Deshalb ist für ihn der WM-Sieg anders als die zwei Erfolge von 1974 und 1990 ein nationales Erlebnis gewesen.

Zurück zur 84. Minute. Das Zittern begann, "krimineller hätte es nicht zugehen können", stöhnt Frietsch heute noch. "Am Schluss hatten wir Glück, aber Glück hat auf Dauer eben nur der Tüchtige." Dann kam der Schlusspfiff. und riesiger Jubel brandete auf.