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vom 22.3.2023
 
Leiberstung sieht seine Zukunft unter dem Sinzheimer Dach
50 Jahre Kommunalreform: Die Möglichkeit einer Eingemeindung nach Schwarzach scheidet in der Kommunalreform rasch aus
 
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Kleines Dorf in der Rheinebene: Leiberstung zählt kaum 500 Einwohner, als die Planungen für die baden-württembergische Kommunalreform beginnen. Das Bild stammt aus den 1960er Jahren. Fotos: Sammlung Jürgen Huck
 
Von Wilfried Lienhard
Sinzheim – Schwarzach oder Sinzheim? Das ist die Frage, die für Leiberstunger Gemeinderäte und den seit 1966 amtierenden Bürgermeister Emil Lorenz auf das Gesetz zur Stärkung der Verwaltungskraft der Gemeinden folgt. Die Stuttgarter Koalitionsregierung aus CDU und SPD hat es im März 1968 verabschiedet. Es ist der Auftakt zur Kommunalreform, die bis 1975 die Zahl der selbstständigen Gemeinden im Land um rund zwei Drittel auf 1.111 reduzieren wird.
 
bt220323aKönnen die kleineren Gemeinden langfristig noch ihren Aufgaben gerecht werden? Können sie Kindergärten bauen? Schulen unterhalten? Neue Wohngebiete erschließen? Das sind Fragen, die viele Kommunen nicht aufrichtig mit Ja beantworten können. Wenn aber all die notwendige Infrastruktur möglich werden soll, auf die auch die Menschen in kleineren Orten einen Anspruch haben, braucht es einen starken Partner.
 
Auch für Leiberstung liegt die Zukunft nicht mehr in einer Eigenständigkeit. Zu klein ist das 1320 erstmals urkundlich erwähnte Dorf, um dem Reformeifer der Kommunalplaner zu entgehen. 1970 zählt der Ort 498 Einwohner. Erst im zurückliegenden Jahrzehnt ist die Kurve nach oben gegangen, 1960 hat die Einwohnerzahl mit 453 noch knapp unter der von 1925 gelegen. Die 1960er Jahre haben aber nicht nur einen ersten Einwohneranstieg gebracht, das Jahrzehnt steht auch für einen gewaltigen Umbruch.
 
1950 verdienen 329 Leiberstunger ihr Auskommen in der Land- und Forstwirtschaft. Das sind 81 Prozent aller Erwerbstätigen. Bis 1961 schrumpft die Quote auf 49 Prozent. 1970 sind es dann nur noch 18 Prozent. Genau 76 Menschen sind noch haupterwerblich in Land und Forstwirtschaft tätig. In dieser Entwicklung spiegelt sich auch der Niedergang einer Sonderkultur. 1954 bezeichnet Franz Hertle, der Vorsitzende des Leiberstunger Tabakbauvereins, den Tabak als Haupteinnahmequellen der Einwohner, sein „Blühen und Gedeihen“ sei die Grundlage für den Wohlstand des Dorfs.
 
1952 sind hier die höchsten in ganz Deutschland verzeichneten Tabakpreise erzielt worden, die Händler nennen Leiberstung „Klein-Sumatra“. Doch die 1959 erstmals aufgetretene „Peronospora tabacina“, die Blauschimmelkrankheit, setzt einen Prozess in Gang, in dem der Tabakanbau immer näher an die Bedeutungslosigkeit rückt. Zwar wehren sich die Leiberstunger gegen diese Entwicklung und stellen 1971 immerhin noch 18 von 107 Pflanzern im Kreis Bühl, die vier Hektar bewirtschaften. Doch die großen Tabakzeiten sind vorbei.
 
Es ist nicht allein die geringe Einwohnerzahl, die Leiberstung zu einem sicheren Kandidaten für eine Eingemeindung macht, die Steuereinnahmen lassen mangels Industrie und einem über die dörflichen Belange nicht hinausgehenden Kleingewerbe auch keine großen Träume reifen.
 
Drum prüfe, wer sich ewig bindet: Die Zielplanung des Landes sieht Schwarzach als künftigen Leiberstunger Hafen vor. Doch ist das keine in Stein gemeißelte Vorgabe. Und so halten Bürgermeister und Gemeinderat Ausschau, in welcher Richtung die Winde vielleicht besser stehen. Denn Schwarzach ist ein unsicherer Kantonist. Eine Einheitsgemeinde im Raum Lichtenau/Greffern/Schwarzach, wie sie den Planern durchaus sinnvoll erscheint, lässt sich nicht verwirklichen. So geht der Schwarzacher Blick nach Bühl, und es ist mehr als nur ein Flirt. Nach einer informativen Anhörung im Februar 1972, bei der sich 107 von 127 Bürger dafür aussprechen, beschließt der Gemeinderat mit 10:1 Stimmen eben dies: die Eingemeindung nach Bühl (der zuständige Landtagsausschuss wird den Beschluss im Juni 1973 kassieren, weil der Raum Schwarzach nicht auseinanderbrechen dürfe).
 
Das alles, die Einheitsgemeinde und der Gang nach Bühl, erscheint Leiberstung wenig verheißungsvoll. Und so konzentrieren sich die im März 1971 beginnenden Verhandlungen auf Sinzheim. Über dessen Ortsteil Schiftung besteht schon eine Verbindung. Seit 1968 gibt es eine gemeinsame Wasserversorgung. Aus einer punktuellen Zusammenarbeit soll das Zusammengehen werden.
 
Einen Vertragsentwurf billigen die Gemeinderäte beider Orte. Kernstück der Vereinbarung ist ein Zusatzvertrag, der alle in Leiberstung zu leistenden Investitionen regeln soll. Dazu zählen unter anderem die Kanalisation, der Bau eines Feuerwehrgeräteraums, ein Gewerbegebiet zwischen Leiberstung und Schiftung, der Bebauungsplan Dorfacker und die Übernahme der Schüler nach Sinzheim. Und natürlich legt die Vereinbarung Finanzielles fest: „Für die innerhalb der nächsten zehn Jahre in der Ortschaft durchzuführenden Investitionen ist jährlich mindestens ein Betrag in Höhe der Sonderzuweisungen zuzüglich einer Jahresinvestitionsrate, wie sie die bisherige Gemeinde Leiberstung bei Erhaltung der Selbstständigkeit erbringen könnte, bereitzustellen. Die zur Finanzierung der im Zusatzvertrag genannten Maßnahmen erforderlichen Finanzmittel werden aus den Mehrzuweisungen nach dem kommunalen Finanzausgleich der neu gebildeten Gemeinde zufließenden Finanzzuweisungen entnommen. Die darüber hinaus erforderlichen Mittel werden von der Gemeinde Sinzheim aufgebracht. Dabei wird davon ausgegangen, daß die zusätzlichen Finanzzuweisungen in der versprochenen Höhe gewährt werden und die derzeitige wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung anhält.“
 
Stadt Yburg wird zur Sackgasse
 
Dann aber tut sich eine neue Möglichkeit auf. Die Gründung einer Stadt Yburg, mit der sich Steinbach, Neuweier, Varnhalt und Weitenung befassen, erscheint auch Sinzheim attraktiv, Leiberstung schließt sich an.
 
Doch ist das nur ein kurzes Zwischenspiel. Zwar stimmen die Gemeinderäte der sechs Gemeinden im Februar 1972 einem vom Landratsamt Bühl vorbereiteten Vereinbarungsentwurf über die Neubildung der Stadt Yburg. Doch da die Rebland-Gemeinden sich eine nach der anderen wieder davon verabschieden, können Leiberstung und Sinzheim das Aufgebot bestellen.
 
Der Vertragsentwurf ist die Grundlage für eine Bürgerbefragung am 27. Februar 1972. „Sind Sie für die Eingliederung der Gemeinde Leiberstung in die Gemeinde Sinzheim auf der Grundlage der Ortschaftsverfassung?“ Von 319 stimmberechtigten Leiberstunger nehmen 191 an der Befragung teil. 134 stimmen mit Ja, 52 mit Nein, fünf Stimmzettel sind ungültig. Der Leiberstunger Gemeinderat stimmt daraufhin mit 8:1 für die Eingemeindung nach Sinzheim, die zum 1. Januar 1973 rechtskräftig werden soll. Im Sinzheimer Feuerwehrgerätehaus unterzeichnen Emil Lorenz und sein Sinzheimer Amtskollege Franz Zoller die Eingemeindungsverträge. Zoller lobt die ehrliche Haltung der Leiberstunger bei den Verhandlungen und nennt die Vereinbarung zwischen den beiden Gemeinden ein Musterbeispiel für eine sinnvolle Gemeindereform.
 
Lorenz wird nach der Eingemeindung Ortsvorsteher und dies bis 1979 bleiben. Er sagt, ehe er seinen Namen unter das Vertragswerk setzt: „Ich wünsche der Gesamtgemeinde den Segen Gottes und Frieden und Eintracht. Möge diese Stunde im Rückblick als eine glückliche Stunde erscheinen. Das walte Gott."