Ansprache zum Volkstrauertag 2000
von Ortsvorsteher Alexander Naber
 
Volkstrauertag -
 
Ein Volk trauert, Völker trauern, man trauert um ein Volk -
 
wie man diesen heutigen Gedenktag umschreibt - es gibt sicher viele Definitionen und Ansichten.
 
Jeder sucht sich seine Erklärung für diesen Tag der Trauer, der Andacht und des Gedenkens scheinbar selber aus.
 
In den vergangenen Wochen habe ich mir hierzu auch wieder verstärkt meine Gedanken gemacht und mit verschiedenen Menschen über diesen Tag und seine Bedeutung gesprochen.
 
Je nach dem Lebensalter meiner Gesprächspartner habe ich verschiedene Antworten bekommen - jeder hat sich scheinbar seine eigene Meinung über diesen Tag gebildet.
 
Ist es aber wirklich ein Tag, wie mir einer sagte, an dem man den ermordeten Zivilisten im 2. Weltkrieg gedenken soll – als ewiges Mahnmal ?
 
Ist es ein Tag, welcher die Gefallenen unseres Landes in beiden Weltkriegen zu Helden ihres Vaterlandes stilisieren soll ?
 
Ist es vielleicht ein Tag, der in uns das Gedenken an all die Gefallenen Soldaten aller im letzten Krieg beteiligten Länder wachrütteln soll und uns für die Zukunft vor weiteren, durch Gewalt erzwungene Konfliktlösungen warnen soll ?
 
Oder ist es nur ein Tag für alte Frauen und Männer, die den 2. Weltkrieg als Trauernde um Ehepartner, Kinder oder Familienangehörige begehen - wir mir ein anderer Gesprächspartner seine Ansicht hierüber erklärte - und sich die Jugend am Besten da raushalten sollte.
 
Leider ist es so, dass gerade die Generationen, welche die Kriege und die schwere Zeit des Wiederaufbaues nach 1945 nicht miterlebt haben, mit diesem Tag nichts mehr anzufangen wissen, gar diesen staatlich verordneten Gedenktag nur als weiteren "Beitrag zur Kriegsverherrlichung" sehen – auch diese Meinung geistert in unserer Gesellschaft.
 
Im Jahre 1934 wurde der damals schon bestehende "Volkstrauertag" per Reichsgesetz zu einem Heldengedenktag – eine neue Erklärung !
 
Aber was sind Helden – wer sind Sie – oder was sollen uns Helden mitteilen ?
 
Ist es nicht vielmehr so, dass man diesen heutigen Tag gerne als ein Ritual für alte Männer und Frauen abtut, um sich selber nicht mit den Gedanken an Tod und Trauer auseinandersetzen zu müssen ?
 
Oder ist es vielleicht schon sogar so weit, dass in unserer heutigen Zeit, einen selbst das Gedenken an unsere Verstorbenen nicht mehr rührt – in unserer modernen und schnellebigen Zeit ?
 
In einer Zeit, welche beherrscht wird von dem Trubel um Big-Brother - wenn das Individuum wie eine Sache zur Schau gestellt wird um einen neuen Geschäftszweig aufzubauen und Profit zu machen;
 
In einer Zeit, in der die Vorabendserien im Fernsehen bereits wie die Berichterstattung aus einem Krisengebiet anmuten und hierdurch die Jugendlichen - die Zukunft unserer Gesellschaft - immer mehr das Interesse an der Gemeinschaft und dem Miteinander und Füreinander zu verlieren drohen, weil ihnen tagtäglich gezeigt und vorgeführt wird : nur wenn Du stärker, härter und cooler bist als die anderen, dann hast Du eine Chance !
 
Ich denke, dass das Innehalten und das Gedenken an die Opfer von Krieg, Repression, Verfolgung und Unterdrückung für jeden einzelnen von uns, mit wieder ein Schritt in eine Zukunft bedeuten kann, in welcher die Trauer um die Verstorbenen das Verständniss für den Anderen und die eigene Verantwortung für das Tun und die Zukunft wieder stärken kann;
 
Den Opfern des Krieges zu Gedenken und sein Eigenes dafür zu tun, dass solche Auseinandersetzungen nicht mehr passieren;
 
Den Opfern von Vertreibung und Verfolgung zu Gedenken und offen seine Hand zur Hilfe entgegenzustrecken;
 
Den Hinterbliebenen als Freund Verständnis entgegenzubringen;
 
Aus den einstigen Gegnern wieder versuchen Freunde werden zu lassen;
 
Auch das will uns, meiner Ansicht nach, dieser Tag lehren !
 
Als vor zehn Jahren die Mauer im geteilten Deutschland fiel, waren die Menschen, welche an dieser Willkürgrenze gestorben waren, bald vergessen;
 
Wenn die letzten Mitbürger, welche die Schrecken des letzten Weltkrieges und die Wiederaufbauzeit miterlebt hatten, nicht mehr unter uns sind, laufen wir dann nicht auch Gefahr die Gefallenen, Ermordeten und Vertriebenen zu vergessen?
 
Aktuell holt viele Menschen die Trauer um einen Angehörigen, einen Freund wieder ein - einen scheinbar sinnlosen Tod gestorben in dem Seilbahninferno in Kaprun auf dem Weg in das Schneevergnügen !
 
Viele haben es gesehen - die Bilder in den Nachrichten - viele sprechen darüber - wir sollten aber auch hier das Gedenken an die Verstorbenen - auch gerade an die vielen jungen Menschen - nicht vergessen und sie am heutigen Tag in unsere Gedanken und Gebete einschließen – auch von uns hätte jemand dabei sein können !
 
Nach langen Jahren des Kampfes schien im Nahen Osten die Möglichkeit einer friedlichen Lösung des Konfliktes zwischen Israelis und Palästinensern in Sicht - durch ein paar Steine wurde die Wunde, welche gerade verbunden war, wieder aufgerissen und die weitere Entwicklung in diesem Streit ist wieder nicht mehr absehbar.
 
Der Krieg auf dem Balkan - auch diese Bilder haben uns in den vergangenen Jahren die Nachrichten tagtäglich vorgeführt - auch dieser scheinbare Friede ist brüchig, wenn überhaupt vorhanden - und dies vor unserer Haustür, direkt auf unserem europäischen Kontinent.
 
Nehmen wir alle diese Gedanken heute mit und tragen wir sie weiter - geben wir alle diese Gedanken an unsere Kinder und Enkelkinder weiter - denn gerade an der Jugend liegt es, sich zu erinnern und zu lernen, sich damit zu beschäftigen und zu verstehen.
 
Verstehen heißt aber nicht, sich auf die eine oder andere Seite zu schlagen, in die eine oder andere Extreme zu verfallen - sondern sich die Mitte bewahren - diese Mitte, in welcher Konflikte noch zu vermeiden sind und in welcher man schlichten kann.
 
Jeder von uns sollte diese Aufgabe ernst nehmen - und sich zumindest ein mal im Jahr mit diesen Dingen auseinandersetzen.
 
Nutzen wir diesen Tag als eine Atempause in der Lebenshast und widmen sie auch dem Verständnis.
 
Ich lade Sie alle ein - im Anschluß mit mir gemeinsam einen Kranz niederzulegen - einen Kranz, welcher an unsere Verstorbenen erinnern soll;
 
Welcher sie ehren soll – Freund und Feind - die Soldaten, die Zivilisten - die Väter und Mütter, die Ehemänner und Ehefrauen, die Söhne und Töchter - und welcher ihnen sagen soll - wir haben Euch nicht vergessen und werden Euch nicht vergessen.