Die folgende Aufzeichnung
stammt vom ehemaligen Schulleiter der Volksschule
Leiberstung Herrn
Heinrich Schmich aus
dem Jahr 1958. Eine Kopie
des Originals wurde
vom ehemaligen
Ortsvorsteher
Paul Frietsch freundlicherweise zur Verfügung gestellt!

 

Abschrift:

 Das Dorf

L e i b e r s t u n g

 in einem heimatkundlichem Überblick

 

1. Geschichtliches über Namen und Wappen: Erstmals erwähnt 1320 als "Tung des Leibold", später "Leibolds Tung". Die "Tungs" (entstanden aus "DONK" deutet nach Michael Walter auf flämische Gründung hin) sind Erhebungen in dem mittelbadischen Sumpf-und Bruchgebiet und dienten als Ackerland, auf den größten Erhebungen standen Siedlungen. (Ausführliche Abhandlungen über Tung-Dörfer sind vorhanden) Leiberstung gehörte ursprünglich zur Markgrafschaft Baden, nicht zur Abtei Schwarzach. 1405 belehnt Markgraf Bernhard von Baden den Edelknecht Hans von Bach mit einem Viertel vom Dorf Leiberstarig mit Zung u. Bann und allem Zubehör. (Weitere Lehensträger waren die Herren v.Bosenstein und auch der Abt von Schwarzach) Stammsitz der Herren von Bach lag bei Kappelwindeck. Ihr Wappen war ein Widderhorn oder Narrenkappe. Aus Mißverständnis wurde später daraus ein Halbmond, der heute noch im Gemeindewappen erhalten ist. (Interessant: Die Nachbargemeinde Weitenung führt das gleiche Wappen.)

2. Wissenswertes über das Dorf selbst: 10 km nördlich der Kreisstadt Bühl in der Rheinebene, an dem Kreuzungspunkt der Straßen Sinzheim - Schwarzach und Weitenung - Stollhofen. Ausgeprägtes Straßendorf mit 86 Häusern, 1 km lang, liegt 128 m ü.d.M. - Die Einwohnerzahl hat heute fast 500 erreicht, zeigt gleichbleibende Tendenz und bildet mit ganz geringen Ausnahmen ein in sich noch geschlossenes, reines katholisches Bauerndorf. Die Zahl der Flüchtlinge, die hier kaum seßhaft blieben, ist sehr klein. Die Zahl der Familien im Dorf beträgt 120. Auffallend sind die Namen vertreten: Droll (13-mal), Lorenz (21-mal), Frietsch (22-mal) und Koch (5-mal).

3. Bodenfläche und Böden: Die Gemarkung umfaßt insgesamt 527,47 ha, die sich verteilen auf

Acker                 125 ha
Wiesen               252 ha
Wald                  125 ha
Gärten                   5 ha

Im Flachland der Rheinebene finden wir in Leiberstung zu zwei Drittel sandigen Lehmboden und zu einem Drittel etwa Moorboden.

4. Gewässer: Am Südausgang berührt der von Oberbruch kommende Sulzbach das Dorf. Ganz in seiner Nähe wurde 1956 ein großangeleges Rückhaltebecken (Staudamm) gebaut, der die Wiesen vor ständigen Überschwemmungen vom Abtsmurgebiet schützen soll. Westlich des Dorfes wurden die Wiesen von 1935-39 durch den RAD durch viele künstliche Gräben entwässert, wodurch sich leider der Grundwasserspiegel erheblich senkte. Deutlich wird dies in heißen Sommermonaten sichtbar, wenn die geschlagenen oder gegrabenen Hausbrunnen kaum Wasser schöpfen. Eine öffentliche Trinkwasserversorgung besteht hier nicht.

5. Verkehrsverhältnisse: Eisenbahnstation Steinbach. Omnibuslinien der MEG nach Bühl und der Stadtwerke B.-Baden nach B.-Baden. Bei dem Bau des oben erwähnten Rückhaltebeckens wurden eine große Zahl von Eichenpfählen, halbverkohlt, aus der Erde gegraben, die die Annahme nicht ausschlißen, daß es sich hier um eine alte Römerstraße handelt.

6. Wirtschaftliches: Der Erwerb fließt ausschließlich aus der Landwirtschaft, deren Betriebsfläche je Hof etwa 4 – 6 ha liegt. Die vorzüglichen sandigen Lehmböden werden zu Tabakanbau vornehmlich genützt (neben den sonstigen Getreide und Hackfrüchten). (erwähnenwert: Topinamburanbau). Die Qualität der hiesigen Havanna Tabake erzielte in den vergangenen Jahren immer Spitzenpreise. Eine eigene Berieselungsanlage und der geschlossene Anbau wirkten sich begünstigend auf die Qualität ebenfalls aus (auch der riesige Tabakschopf und die in den vergangenen Jahren erbauten privaten Trockenschuppen). - Der Gurkenanbau nimmt seit etwa 2 Jahren stetig zu. – Beim Schweinemarkt am Montag in Bühl bieten die hiesigen Bauern ihre Erzeugnisse der Schweinezucht feil. Täglich noch, außer freitags und sonntags, führt der Schweinehirt, der sein Kommen durch Trompetensignale in aller Herrgottsfrühe ankündigt, Eber und Mutterschweine hinaus auf die Schweinsweide. Die Geflügelzuch bringt der Bauersfrau Taschen- und Wirtschaftsgeld. Leiberstunger Eier (die Hühner bewegen sich frei auf der Wiese) sind weit über das Dorf hinaus bekannt. Obstbau wird, aber nicht intensiv, betrieben.

Eine Genossenschaft mit Lagerhaus versorgt die Landwirte mit Futter- und Düngemittel etc. Die Milch wird täglich von der Milchzentrale B.-Baden abgeholt.

Industrie ist nicht am Platze, das Gewerbe geht über den kleinen dörflichen Rahmen nicht hinaus. Bäckerei und Metzgerei sind nicht vorhanden. Zwei Gasthäuser, beide renoviert, geben der einheimischen Bevölkerung Gelegenheit zu geselligem Beisammensein.

7. Kulturelles: Kirche Leiberstung lag einstens im Steinbacher Kirchspiel (auch der Markt war dorthin orientiert). Seit dem 30-jährigen Krieg wurde das Dorf von Schwarzach aus betreut, wohin sie zum Gottesdienst näher hatten. Eine hölzerne Kapelle am Südausgang des Dorfes, (man fand dort vor Jahren Gebeine von Toten) diente zur Rosenkranzandacht und wurde im Franzosenkrieg 1696 oder 1710 mit einem Teil des Dorfes niedergebrannt. 1713 erstand das heutige Kirchlein in der Mitte des Ortes. 1728 schenkte die Markgräfin Sibylla dem Kirchlein einen hübschen silbernen Kelch mit Inschrift, der heute noch verwendet wird. Die Kirche ist dem hl. Wendelinus geweiht, dessen Festtag jährlich feierlich begangen wird. Heute noch ist Leiberstung eine Filiale (kirchlich) von Schwarzach. An Sonn- und Feiertagen sowie an zwei Wochentagen finden Gottesdienste statt. Der Friedhof liegt 500 m entfernt auf einer Anhöhe östlich des Dorfes und soll aus bereitgestellten Spenden in der nächsten Zeit eine Friedhofkapelle mit Gefallenengedenkstätte erhalten.

Schule und Rathaus zusammen erbaut um das Jahr 1826 (auf dem Dach ein Storchennest). Das Gebäude im Weinbrennerstil wird im Spätjahr 1958 renoviert und erweitert durch einen dritten Schulsaal, Werkraum etc. Augenblicklich zählt die Schule 2 Lehrkräfte und 57 Schüler bei steigenden Schülerzahlen in den kommenden Jahren. Das Verhältnis der Knaben gegenüber den Mädchen überwiegt recht stark, denn von den 57 Schülern sind nur 20 Mädchen. 1953 erbaute die Gemeinde einen großen Kindergarten mit 3 Wohnungen. Ein großer Gemeindesaal mit einer Bühne bietet Platz für etwa 300 Personen. Eine gemeindebedienstete Kindergärtnerin versorgt den Kindergarten.

Eine äußerst aktive Tätigkeit entfalten die örtlichen Vereine, von denen der Gesangverein mit 60 aktiven Sängern die innere Geschlossenheit des Dorfes unter Beweis stellt. Sportverein, Feuerwehr und Kirchenchor bilden mit dem Gesangverein eine Gemeinschaft.

8. Behörden: Bürgemeisteramt und Schulamt

9. Sonstiges: Verschiedene Beobachtungen deuten darauf hin, daß hier vor etwa 50 Jahren noch eine Tracht getragen wurde: Ältere Frauen trugen gleiche Kopfbedeckungen, von denen einige noch erhalten sind. Bei feierlichen Anlässen trug man um die Schultern ein großes viereckiges Seidentuch, bei Trauerfällen ein solches in schwarz. Die Männer tragen heute noch teilweise im Winter einen kurzen schwarzen Gehrock mit Samtkragen, zu dem vor Jahrzehnten der Goks (Melone) gehörte.

 

        Die Tracht der Frauen von der Seite und der "Goks" der Männer

 

Von den umliegenden Ortschaften wurde Leiberstung mit dem Spitznamen die "Murenten" bedacht. Man sagt ihnen auch nach, daß sie während der Erntezeit des Nachts im Bett knien, um nicht zu verschlafen. Sie sind wie wohl kaum ein anderes Dorf als Frühaufsteher bekannt.

 Kopie eines Teiles der Originalaufzeichnung mit Unterschrift von Herrn Schmich

 

Der Flurnamen "Burgstade" und "Riedmatten" (urspr.Rittermatten) deuten auf ein ehemaliges Wasserschloß (Fliehburg) hin, das im Erlenwald südwestlich des Dorfes in Richtung Schwarzach gestanden haben soll.

Für die Kreisbildstelle empfehlenswertes Bildmaterial:

1. Alte Backöfen an Rückfront der Häuser
2. Tabakschuppen (auch Tabakeinfädeln)
3. Storchennest
4. Schweinehirt zieht auf die Weide

Diese Zusammenstellung wurde aufgrund von chronischen Aufzeichnungen, eigenen Beobachtungen, von mündlich Überlieferten und Gehörtem verfaßt.

                                                                                        Leiberstung, am 16.9.1958
                                                                                                 H.Schmich, Hptl.

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