Volkstrauertag 2002 – Gedenken an die Opfer von Krieg und Gewalt
 
Lieber Leiberstunger Mitbürgerinnen und Mitbürger, sehr geehrte Damen und Herren Vereinsvorsitzende !
Die Zeit der Gedenk- und Andachttage liegt nun wieder vor uns.
 
Ein wichtiger Gedenktag hierbei ist ohne Zweifel der
 
Volkstrauertag, am Sonntag, dem 17.11.2002
 
Wie in den vergangenen Jahren auch, werden Kirchen- und die politischen Gemeinden den Opfern von Krieg, Vertreibung und Repression gedenken.
 
Ich darf Sie alle recht herzlich hierzu einladen.
 
Gemeinsam feiern wir an diesem Sonntagvormittag den Gottesdienst, an welchen sich eine Ansprache zu diesem Gedenktag anschließt.
 
Nach dem Gottesdienst, welcher um 8.30 Uhr beginnt, werden wir, wenn es die Witterung zulässt, gemeinsam mit einem Gedenkmarsch zum Friedhof gehen, angeführt von Ehrenabordnungen der Leiberstung Vereine - unter Fahnenbegleitung -.
 
Am Friedhof werden wir im Gedenken an die Opfer einen Kranz niederlegen und in einer Gedenkminute verharren. Die musikalische Gestaltung wird durch die Leiberstunger Chöre übernommen.
 
Ich bitte Sie herzlichst, hieran teilzunehmen und somit diesem Gedenktag den gebührenden Stellenwert einzuräumen – ganz besonders gilt dieser Aufruf auch den Jugendlichen !
 
Gerade in der aktuellen Situation, in welcher die Themen Krieg, Vertreibung, aber auch die Trauer um Opfer zahlreicher Katastrophen wieder stärker in den Vordergrund unseres Alltages gerückt sind, sollte dieser Gedenktag ein Zeichen sein, welches man auch ganz persönlich setzen sollte – gemeinsam mit allen Mitbürgerinnen und Mitbürgern.
 
Naber -Ortsvorsteher-
 
Ansprache zum Volkstrauertag 2002
von Ortsvorsteher Alexander Naber
 
Lesen Sie Zeitung ?
Jeden Tag ?
Was lesen Sie zuerst - den Sportteil, den Roman, das Örtliche hier aus Bühl, Sinzheim, Baden-Baden - oder zuerst die
Todesanzeigen ?
 
In der heutigen Zeit gibt es ja für alles Statistiken und Umfragen.
 
Eine dieser "repräsentativen Umfragen" hat sich eben mit diesem Thema beschäftigt. Und das Ergebnis : Todesanzeigen - Viele lesen diese zuerst - Todesanzeigen, Danksagungen, Nachrufe - erst danach kommt der Sportteil, dann das Regionale - ganz am Ende stehen die Politik, das Weltgeschehen - scheinbar sind diese Themen für die meisten Menschen nicht so interessant.
 
Und doch sind es gerade die Themen auf diesen ersten Seiten, welche die Ursache für so manche Todesnachricht sind.
 
Nun-ja - werden viele von Ihnen jetzt denken - was soll die Haushaltsdebatte der Bundesregierung mit den Todesanzeigen zu tun haben - sicher, da haben Sie recht - die Zahlen des Bundeshaushaltes wohl nicht.
 
Aber nehmen Sie mal eine Zeitung eines beliebigen Tages aus den vergangenen Wochen - und suchen Sie konsequent nach den Todesanzeigen, welche nicht unter der Rubrik "Familiennachrichten" stehen und vom Heimgang eines lieben Verwandten oder Freundes berichten.
 
Suchen Sie die Berichte über Tod, Vertreibung, Terror, Bürgerkrieg, Gewallt gegen Einzelne, Gewalt gegen Städte oder ganze Völker - sie werden erschrecken, wie viele Todesanzeigen in nur einer einzigen Tageszeitung stehen.
 
Oder Sie erschrecken nicht, vielleicht nicht mehr - weil Sie diese Themen jeden Tag vorgesetzt bekommen, ob nun in den aktuellen "News" im Fernsehen, Radio oder eben Tageszeitung.
 
In den vergangenen Tagen haben Sie sicher auch wieder verstärkt in den Medien die Ankündigungen für den heutigen Tag wahrgenommen - Volkstrauertag, Gedenken der Opfer von Krieg, Vertreibung und Gewalt.
 
In den vergangenen beiden Jahren habe ich Ihnen an gleicher Stelle von meinen Erfahrungen berichtet, welche ich bei der Auseinandersetzung mit diesem Thema gemacht habe.
 
Viele Jugendliche setzen diesen Tag gleich mit dem Erinnern an den 2. Weltkrieg, viele sehen ihn als Mahnmal gegen das Vergessen des Holocaust, manche als Verherrlichung der Soldaten und des Krieges - aber leider sind viele, auch gerade in der Generation um 40 der Ansicht, dieser Tag des kollektiven Gedenkens ist sinnlos, da die beiden Weltkriege lange vorbei sind und wir uns mit dem Thema "Krieg" nicht auseinandersetzen müssen, da kein Krieg herrscht.
 
Aber haben diese Zweifler recht ? Ich bin anderer Ansicht - es herrscht Krieg, und er ist näher den je.
 
Jüngst haben sich – in diesem Jahr 2 nach der Jahrtausendwende, viele Daten gejährt, die es Wert sind daran erinnert zu werden.
 
Das jüngste Jubiläum der Gewaltspirale jährte sich am 11. September.
 
Jedem sind die schrecklichen Bilder der brennenden Türme des World-Trade Centers noch vor Augen, das Leid der Angehörigen der Opfer dieses Terroranschlages.
 
Doch damit ist es nicht genug - dieser Tag war der Beginn eines neuen Krieges der die Welt bewegt und der die Welt wieder an die Schwelle zu einem globalen Krieg gebracht hat.
 
Der anschließende Einmarsch in Afghanistan, der Krieg gegen die Taliban und die rastlose Suche nach Bin Laden und seinen Helferhelfern haben der Welt vor Augen geführt, wie schnell sich ganze Völker wieder in einem Krieg befinden können.
 
Amerika gegen Afghanistan ? So sah es am Anfang aus – doch wie schnell hatte der Terror um sich gegriffen, und wie weit verzweigt das Netzwerk des Todes ist lässt sich nur vermuten, aber am Ende hieß es "Afghanistan gegen den Rest der Welt" – auch Deutsche Soldaten befanden sich ganz plötzlich wieder im Krieg.
 
Ein Krieg der noch nicht zu Ende ist – die Taliban aus Afghanistan vertrieben, das Volk befreit – so lassen sich die Helden dieses Krieges gerne feiern.
 
Die Tatsache sieht anders aus.
 
Aus den Verbündeten der ehemaligen Nordallianz sind bereits wieder politisch und ideologisch verbitterte Feinde geworden, welche jeden Tag nur nach einer passenden Gelegenheit suchen einen internen Konflikt wieder aufflammen zu lassen.
 
Deutsche Soldaten im Krieg – wissen Sie wann dies das letzte mal der Fall war –
 
"Klar doch!" , habe ich letzte Woche zur Antwort bekommen als ich mich über dieses Thema mit Freunden und Bekannten unterhalten habe, "das war 45 in Russland!"
 
War das wirklich der letzte Einsatz deutscher Soldaten ?
 
Es ist kaum eine Dekade her aber wer will sich heute noch gerne an die Jahre des erbitterten Kampfes um Sarajevo erinnern – der Krieg auf dem Balkan, welcher aus einstigen Ferienparadiesen Stein- und Felswüsten gemacht hat, welcher aus einem ehemaligen Jugoslawien neue Staaten hervorgebracht hat – die nicht einmal in sich selber eine Einheit und Ruhe finden, geschweige denn neben- und miteinander.
 
Auch dort waren Deutsche Soldaten in vorderster Front mit dabei – Krieg vor unserer Haustür.
 
Gehen Sie weiter zurück – lassen Sie das vergangene Jahrhundert – ein beispielloses Jahrhundert für technologische Entwicklung und Fortschritt, für Kunst und kulturelle Schock- und Revoluzzerzeiten – nochmals Revue passieren und die Fernsehbilder der großen Kriege dieses Jahrhunderts nochmals vor Ihrem Auge aufflimmern....
 
Korea – viele Soldaten der westlichen Welt wussten nicht einmal gegen wen sie kämpften, geschweige denn worum es in diesem Krieg überhaupt ging;
 
Vietnam – es war eine Ehre in diesen Krieg zu ziehen, viele junge Männer lebten für diesen Traum – das anschließende Trauma, welches viele zurückbehielten war weniger ehrenvoll;
 
Die Kuba-Krise – drei Tage am Rande eines Weltkrieges der Supermächte, welche ihre Vormachtstellung ausbauen wollten, mit Muskeln und der Zukunft der Welt spielten;
 
Iran gegen Irak – der große Iran gegen den kleinen Staat Irak – auf der einen Seite die iranischen Gotteskämpfer, auf der anderen Seite die Befreiungsfront – jahrelanges Testgebiet für Waffen aus Ost und West, und heute – Heute stehen ein irakischer Sadam Hussein mit erhobenem Maschinengewehr vor laufenden Kameras und drohen der westlichen Welt – welche wieder kurz vor einem interkontinentalen Krieg steht.
 
Pakistan gegen Indien – auf den Straßen verhungern die Menschen, in den feudalen Vierteln der Städte werden die "Computer – Inder" für den Westen ausgebildet – und im Geheimen an Atomwaffen gearbeitet, welche zum Erschrecken der Welt getestet werden um jedem Nachbarn zu sagen : "Trau Dich nur – wir erwarten Dich"
 
Ach ja und – erinnern Sie sich noch als wir mit einem Schlag kein Fasching mehr hatten – als das kleine Kuwait von den Nachbarn Lybien und Irak angegriffen wurde und die Wüste brannte. Tausende Erdölquellen zum Himmel loderten, aus dem Weltraum aufgenommene Bilder von Satelliten zeigten einen scheinbar brennenden Kontinent...
 
Wie nebensächlich ist doch unter all diesen Ereignissen die Ermordung von Yitzhak Rabin, einem Mann, welcher gemeinsam mit Arafat dem Staat Israel und den Palästinensern endlich die Chance des Friedens hätte bringen können – ermordet von Gegnern des Friedens – dem Frieden so nahe noch vor knapp 10 Jahren, dem heiligen Krieg der Intifada jetzt wieder hilflos ausgeliefert.
 
Wie nah der Krieg in Tschetschenien ist hat man auch erst vor einigen Tagen wieder zu spüren bekommen – auch Deutsche saßen im Moskauer Theater.
 
Ein paar Stunden dem Alltag entfliehen, für viele war es die letzte Vorstellung.
 
Und all das muss auch uns bewegen – wenn Sie die Medien verfolgen werden Sie sicher wieder das spektakuläre Auftauchen von Osama Bin Laden mitbekommen haben.
 
Das Netzwerk des Terrors auch bei uns allgegenwärtig.
 
Ja, es herrscht noch immer Krieg – jeden Tag – nicht nur in den Medien, auch auf den Straßen der Städte bei uns.
 
Viele denken bei den Worten Krieg, Vertreibung, Soldaten und Volkstrauertag sofort an den 2. Weltkrieg, den Holocaust, die Judenverfolgung und Hitler – aber so einfach ist es nicht.
 
Auch heute leiden Menschen unter den Wirren der herrschenden Kriege.
 
Und wenn man an die Zeiten 14-18 und 36 – 45 zurückdenkt dann muss man auch feststellen und dies deutlich machen - nicht nur andere haben gelitten in den beiden Weltkriegen – auch das Volk der sogenannten "Aggressoren und Kriegstreiber", auch unsere Eltern, Großeltern und Urgroßeltern haben in diesen Kriegen schreckliches Leid erfahren – will man sich nicht daran erinnern oder hat man das schon Vergessen ?
 
Gegen das Vergessen – lauten viele Titel von Filmen und Veranstaltungen – aber ist es nicht so, dass diese meist nur eine Seite des Krieges zeigen ? Das ist in meinen Augen fatal weil es den Betrachter abstumpft;
 
Gegen das Vergessen – scheinbar unnötig, denn wenn Sie sehenden Auges jeden Tag wieder einen neuen Krieg in den Medien präsentiert bekommen muss man sich die Frage stellen : waren die vielen Toten, Vertriebenen, Gefallenen, Ermordeten und ausgebombten der beiden großen Weltkriege nicht genug ?
 
Es scheint als ob die ganze Welt diese Zeiten bereits vergessen haben.
 
Vielleicht ist es doch nicht so schlecht, wenn man zumindest einmal im Jahr für einen Moment stehen bleibt und sich Gedanken darüber macht
 
"Warum Volkstrauertag? Was oder wen hat man zu betrauern?"
 
Lassen Sie uns alle Gemeinsam diesen Tag begehen und uns gemeinsam für die Zukunft, an unsere Vergangenheit und die Gegenwart erinnern.
 
Ich lade Sie herzlich ein, stellvertretend für alle Menschen, welche Opfer von Kriegen und Gewallt geworden sind, einen Kranz am Denkmal für die Gefallenen Söhne Leiberstungs niederzulegen und in einem stillen Gedenken allen Verstorbenen zu versichern :
 
wir haben Euch nicht vergessen und werden Euch nicht vergessen.

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